Aargauer Zeitung/Nordwestschweiz, Kultur, 23. Mai 2018
Theater Heute startet das 5. Schweizer Theatertreffen. Sechs Thesen, warum es bisher keine Erfolgsgeschichte geschrieben hat – und wie sich das ändern könnte
Zum fünften Mal hat eine neunköpfige Jury die Bühnen der Schweiz bereist und sieben Inszenierungen ausgewählt, die ab heute beim Schweizer Theatertreffen (STT) in Zürich gezeigt werden. Doch der Vorverkauf läuft schleppend, und immer wieder werden Forderungen laut, das Festival ganz abzuschaffen. Woran liegt das?
1. Längst touren die Theater durchs ganze Land
Auch ohne Theatertreffen schicken die Theater ihre Stücke auf Tournee, Inszenierungen in der Westschweiz und im Tessin leben sogar davon. «Quitter la terre» von Joël Maillard und Joëlle Fontannaz, das das STT am Sonntag beschliesst, tourte nach der Premiere im Arsenic – Centre d’art scénique contemporain in Lausanne durch die Westschweiz und Frankreich; es wird in der «Sélection Suisse» auch beim Theaterfestival Avignon zu sehen sein. Das Stück des KNPV Bern, «5 Gründe, warum Delfine böse sind», das das STT eröffnet, ist eine Koproduktion mit dem Kellertheater Winterthur und dem Schlachthaus Theater Bern und wurde auch schon in Basel und Zürich gezeigt. Dem Trend, der die Produktionskosten auf mehrere Häuser verteilt, folgen die stationären Häuser längst. So wurde «Edward II – Die Liebe bin ich» vom Theater Basel, das 2016 zum STT eingeladen wurde, mit den Wiener Festwochen und dem Schauspielhaus Wien koproduziert und auch an beiden Orten gezeigt.
2. Eine Einladung zum Original in Berlin ist wertvoller
Das STT ist eine 50 Jahre jüngere Kopie des Theatertreffens in Berlin und muss mit dem Makel leben, dass eine Einladung nach Berlin immer wertvoller sein wird. Dort sind jedes Jahr auch Schweizer Inszenierungen zu sehen, in diesem Jahr Karin Henkels «Beute Frauen Krieg» vom Zürcher Schiffbau und Büchners «Woyzeck» in der Regie von Ulrich Rasche vom Theater Basel. Weil das Berliner Festival den Anspruch hat, die besten Inszenierungen aus dem deutschsprachigen Raum zu finden, sitzt jeweils ein österreichischer und ein schweizerischer Kritiker in der Jury. «Beute Frauen Krieg» wurde zum Berliner und zum Schweizer Theatertreffen eingeladen. Auch Simon Stones Basler Neuüberschreibung von Tschechows «Drei Schwestern». Solche Doppeleinladungen zeigen, dass es so etwas wie absolute Qualitätskriterien für gutes Theater gibt. Allerdings konnten die «Drei Schwestern» 2017 im Tessin nicht gezeigt werden, weil sich kein Gebäude fand, in das das Bühnenbild hätte eingebaut werden können. Ins Haus der Berliner Festspiele passte es problemlos.
3. Längst ist Berlin zum Pflichttermin auch der Schweizer Theaterszene geworden
In Berlin ist eben alles grösser. Dort weitet ein Rahmenprogramm zusätzlich den Horizont: Fünf neue Stücke werden zum «Stückemarkt», sieben Inszenierungen zum internationalen Gastspielprogramm «Shifting Perspectives » geladen, um zu vermeiden, dass das Festival deutschsprachige Nabelschau betreibt. Dazu kommt ein «übergreifendes Diskursprogramm» zu sozialen, politischen und ökonomischen Themen.
4. Die Theater der Landesteile wollen sich nur bedingt austauschen
Ein Rahmenprogramm gibt es auch beim STT. Aber wenn 2017 im Tessin und 2018 in Zürich dieselben Themen unter demselben Titel diskutiert werden – etwa «Das perfekte Gesuch» oder «Theater in der Migrationsgesellschaft» – dann streben die Verantwortlichen kein gesamtschweizerisches Branchentreffen an, sondern ein auf die Landesteile ausgerichtetes. Und sie verraten das Alleinstellungsmerkmal des STT: die Mehrsprachigkeit und die unterschiedliche kulturelle Anbindung der Theater in den Landesteilen. Das Interesse über die Sprachgrenzen hinweg ist allerdings (noch?) bescheiden. Auch der Vorverkauf für das 5. STT läuft schleppend, «vor allem die nichtdeutschsprachigen Stücke sind nicht sehr gefragt», sagt STT-Leiterin Kathrin Lötscher. Das ist nicht neu: Mehrere Jahre lang führte das Zürcher Schauspielhaus ein Abonnement mit französischen Gastspielen. Es wurde vor sechs Jahren aus mangelndem Interesse eingestellt.
5. Wo viel Geld ist, ist nicht zwingend ein gutes Festival
Bisher sind die Schweizer Theatertreffen kein Erfolg. Im Gegenteil: Im Tessin zählte man 2016 nur 1600 Gäste, 1250 davon in den Theatervorstellungen, 350 zusätzlich im Rahmenprogramm, zu dem der Eintritt kostenlos war. Bei einem Budget von 680 000 Franken bedeuten 1250 zahlende Zuschauer den exorbitanten Zuschuss von 544 Franken pro Karte. Am STT verleiht das Bundesamt für Kultur (BAK) jährlich den mit 100 000 Franken dotierten Hans-Reinhart-Ring, 2018 ans Schaffhauser Theater Sgaramusch. In einer Gala im Zürcher Schauspielhaus werden auch die fünf Schweizer Theaterpreise vergeben, jeweils dotiert mit 50 000 Franken für Ensembles und 30 000 Franken für Einzelpersonen. Allein das Preisgeld des BAK beträgt damit zwischen 250 000 und 350 000 Franken. Darüber urteilt ebenfalls eine neunköpfige Jury, die von der Theatertreffen-Jury unabhängig ist.
6. Das Schweizer Theatertreffen braucht einen festen Ort
Die ersten beiden Male fand das STT im Theater Winterthur statt, danach gastierte es in Genf und im Tessin, jetzt in Zürich. Wie soll ein Festival so ein Stammpublikum gewinnen? Wer je bei den Solothurner Literaturtagen war, weiss, wie viel der richtige Ort zur Atmosphäre und damit zum Gelingen eines Festivals beitragen kann. Warum nicht für das STT einen Ort nahe der Sprachgrenze wählen, der gut erreichbar ist und über Theater verfügt, die Gastspiele möglich machen? Biel oder Freiburg wären zu prüfen, weil sie zweisprachig sind. Oder Bern, das mit hauptstädtischer Infrastruktur die Räume bietet, die ein STT braucht. Ohne Änderungen bleibt die Diagnose: Der Patient wird exklusiv behandelt, aber Besucher hat er keine. Er wird aus Einsamkeit sterben.