Bücherbeilage der NZZ am Sonntag, 26. Mai 2019
Ökologie Ein «Geo»-Heft des Bestseller-Försters Peter Wohlleben und eine Gegenschrift von Gerbrand Bakker: Ein Streit ist entbrannt um die Frage, ob man Pflanzen wie Menschen beschreiben darf
Sein neuster Coup: Ein «Geo»-Personality-Magazin. «Wohllebens Welt». Untertitel: Das Naturmagazin von «Geo» und Peter Wohlleben. Chefredakteur Michael Schaper gibt im Interview mit Branchendienst Turi2 zu, dass er zuerst selbst geglaubt habe, dass es da um Esoterik gehe. «Wir haben uns dann klug gemacht», und er habe festgestellt: «Das alles basiert auf wissenschaftlich seriöser Forschung.» Peter Wohlleben sitzt im Youtube-Film daneben und lächelt. Er kennt den Vorwurf. Er kann ihn kontern.
Pferde statt Maschinen
«Mag sein, dass meine Aussagen emotional sind», sagte er etwa im Interview mit der NZZ. «Dafür können sie auch Laien verstehen.» Sein Vorgehen erklärt er so: «Ich übersetze Wissenschaft in Alltagssprache.» Wenn die Forschung feststellt, dass Bäume in der Nacht ihre Äste hängen lassen, sie um bis zu zehn Zentimeter senken, dann sagt Wohlleben: Sie schlafen. Wenn sie Wasser speichern und Geräusche in ihren Stämmen messbar sind, die sich wohl mit dem Aufsteigen von Luftbläschen erklären lassen, sagt er: Sie schnarchen. Und wenn sie im Herbst ihre Blätter abwerfen, sagt er: Sie sammeln Giftstoffe und gehen einmal im Jahr zur Toilette.
Das gefällt vielen Wissenschaftern nicht, sie finden es – wie Schaper einst – esoterisch. Oder kitschig. Aber Wohlleben kennt die Forschungen, lässt auch die TU Aachen in seinen Wäldern Untersuchungen anstellen. Um ihn wirklich beurteilen zu können, muss man auch Folgendes wissen: Seine Methode ist nicht nur ökologisch, sondern auch lukrativ. Dem Förster Wohlleben missfiel die konventionelle Waldnutzung immer mehr. Er machte sich kundig, auch im Plenterwald von Henri Biolley in Couvet (JU), und stellte seinen Betrieb entsprechend um: «Waldarbeiter und Pferde statt Erntemaschinen, heimische Laubbäume statt Fichten und Kiefern, Verbannung von Chemie», wie er in «Geo» schreibt. «Das Ergebnis: Der Wald atmete auf.» Anders ausgedrückt: Früher machte er jährlich 75 000 Euro Verlust, heute schreibt er 300 000 Euro Gewinn. Bei diesen Zahlen verstummen viele Kritiker.
Die anderen wüten weiter. Und schreiben Gegenbücher wie der Biologe Torben Halbe, der sich in «Das wahre Leben der Bäume» gegen Wohllebens Thesen wehrt. In dieselbe Kerbe haut jetzt auch Gerbrand Bakker mit «Echte Bäume weinen nicht» im renommierten Suhrkamp-Verlag. Trees sell, könnte man sagen. Bakker ist selbst Bestsellerautor. Bevor sein Debüt «Oben ist es still» auf den Markt kam, absolvierte er eine Gärtnerlehre, arbeitete aber nach dem Erfolg des Buches nie in dem Beruf, sondern schrieb mit «Juni» oder «Der Umweg» weitere preisgekrönte Werke.
Pflanzen sind kompliziert
Bakker ist Gartenbesitzer und lebt ebenfalls in der Eifel, einer dünnbesiedelten Gegend zwischen Aachen, Bonn und Trier im Westen Deutschlands, deren Promi-Dichte damit auch schon fast erschöpft sein dürfte. Zwar streifen beide durch die Wälder ihrer Wahlheimat; aber das Habitat Wald, das bei Wohlleben Heimatgefühle weckt, musste der Niederländer Bakker erst kennenlernen. «Bis ich 18 war, hatte ich immer freie Sicht gehabt», heisst es in Birgit Erdmanns Übersetzung. Als Kind, noch als junger Erwachsener konnte er «Wälder nicht ausstehen», lernte erst in der Eifel, wie vielseitig sie sein können. Doch ist Bakker weiterhin Liebhaber von Barockgärten und Kulturlandschaften, dieser «einzigartigen Kombination von Ackerland, Natur und Kulturgeschichte». Nicht das Wilde fasziniert ihn, sondern die Struktur. «Die Eindeutigkeit eines Zauns», Sicherheit, Übersicht, «das sind Dinge, die ich in meinem Leben brauche».
Wie schon in «Jasper und sein Knecht» beschreibt er auch in «Echte Bäume weinen nicht» sein Leben mit Depression, die er – jetzt ohne Hund Jasper – in langen Spaziergängen zu bewältigen sucht. Die Sicherheit, die «Eindeutigkeit eines Zauns» werden zu Haltepfeilern, die ihn vor einem erneuten Absinken bewahren. Das Buch, eine zuweilen beliebig wirkende Sammlung kurzer und weniger kurzer, neuer und alter Texte, macht aus der Auseinandersetzung mit Wohlleben eine Abhandlung über die Künstlichkeit von Natur und die Natürlichkeit von Kunst.
Auch Bakker stört die emotionale Sprache, die Pflanzen vermenschliche und dass Colin Tudge mit «The Secret Life of Trees» schon 2005 etwas ganz Ähnliches geschrieben habe. Kategorisch formuliert er: «Pflanzen haben keine Nerven. So einfach ist das.» Dass es vielleicht doch komplizierter ist, will er nicht einmal bedenken. Man spürt, dass er dieses Aufweichen einer liebgewonnenen Weltsicht von harten Grenzen zwischen Menschen, Tieren und eben jetzt auch Pflanzen schon rein körperlich nicht ertragen würde.
Peter Wohlleben: Das geheime Leben der Bäume. Ludwig-Verlag 2015. 224 S., um Fr. 29.–, E-Book 19.–.
Wohllebens Welt. Das Naturmagazin von «Geo» und Peter Wohlleben, vierteljährlich, Nr. 1, seit 18.4.2019 am Kiosk, um Fr. 11.–.
Gerbrand Bakker: Echte Bäume weinen nicht. Übersetzt von Birgit Erdmann. Suhrkamp 2019. 207 S., um Fr. 23.–, E-Book 16.–.
Torben Halbe: Das wahre Leben der Bäume. Woll-Verlag 2017. 100 S., um Fr. 28.–, E-Book 18.–.