Sächsische Zeitung, Die Seite Drei, 27. Januar 2010
Eigentlich bevorzugt Schauspieler Gérard Depardieu die regionale Küche. Jetzt aber soll er Sauermilchkäse aus Sachsen internationales Flair verleihen
Käse, der stinkt, lebt. Sagt Gérard Depardieu und hält den Harzer Käse unter seine große Cyrano-Nase. „Der ist stark“, befindet er und schnuppert wieder. Der kleine Käse verschwindet fast zwischen den kurzen, dicken Fingern und der langen Nase mit dem Knubbel am Ende. Es mag unhöflich sein, das zu sagen, aber es ist nun mal so: Diese Nase ist wirklich groß, die Finger extrem kurz und ziemlich wurstig und der ganze Mann ganz schön dick. Würde man den dunkelblauen Anzug und das hellblaue Hemd mit der blau-weiß-gestreiften Hose ersetzen – der Obelix wäre perfekt.
So sieht eben einer aus, der zu leben weiß, keinen Sport macht und sehr, sehr gerne isst. Darum hat im Übrigen die sächsische Käserei Loose aus Leppersdorf das Schwergewicht Depardieu am Montag nach Hamburg geladen: Als einer der bekanntesten Schauspieler Frankreichs und als ausgewiesener Feinschmecker soll er Harzer Käse von seinem schlechten Image befreien.
Und das tut er auch: „Wir essen in Frankreich immer weniger Käse“, Depardieu schaut betrübt, „nur noch zum Dessert mit einem Glas Wein. Da sind die Konventionen der Franzosen leider ziemlich strikt.“ Gerade noch schafft es der 61-Jährige, die Arme vor dem dicken Bauch zu verschränken. „Dabei gibt es tausend Möglichkeiten zum Beispiel diesen Käse zuzubereiten und etwas darum herum zu erfinden.“ Die Zeigefinger umkreisen sich in der Luft vor der breiten Brust. „Wenn der Käse reif und stark im Geschmack ist, esse ich ihn am liebsten mit Früchten, ist er jünger und noch quarkig, passt er in Salate, mit Honig vielleicht oder Gemüse, man kann ihn auch kochen – sehr interessant.“ Genießerisch küsst Depardieu seine Fingerspitzen.
Günter Brandmeier sitzt im blauen Maßanzug, teuren braunen Schuhen und akkurat aus dem Gesicht gegelten Haaren neben Gérard Depardieu auf dem Sofa und lächelt. Das tut er oft an diesem Abend, das gehört zu seinem Job. Der Geschäftsführer der Käserei Loose hat einen Coup gelandet, und das weiß er. Depardieu versinkt im Blitzlichtgewitter, scharenweise sind die Journalisten der Einladung gefolgt, dutzendfach lichten sie ab, wie der Filmstar im Hamburger Restaurant „Schönes Leben“ am Loose-Käse schnuppert, und natürlich ist auch das große Werbeplakat mit den blauen Scherenschnitten des neuen Verpackungsdesigns auf den Bildern zu sehen.
Aber das ist nur der Anfang; denn Brandmeier hat sich viel vorgenommen. Er will Loose zum „nationalen Käsemacher“ stilisieren und am liebsten in ganz Europa bekannt machen. Dabei soll auch der Begriff „Harzer Käse“ verschwinden: „Das Image des verstaubten Stinkers von Oma und Opa muss weg“, sagt Brandmeier und seine blauen Augen blicken stechend. Die PR-Leute reden nur von „Sauermilchkäse“, der auch mit Edelschimmel verkauft wird und dann, so sagt das Lebensmittelrecht, ohnehin kein Harzer mehr ist.
In Brandmeier-Denglisch heißt das: „Wir haben die Sauermilchrange umgestellt.“ Für ihn ist Depardieu der „Big Smasher“, ihm folgt die ganz große Kampagne: „In der siebten Kalenderwoche starten wir Fernsehwerbung zur Primetime in allen großen Sendern.“ Brandmeier redet sich in Fahrt: „Dann folgt die Loose-Käse-Expertentour, unsere Koch-Events in großen Supermärkten. Es gibt Suppe und Finger Food, wir nennen das Roadshow“, der Sauermilchkäse wird „national ausgerollt“. Was das kostet? Brandmeier lächelt immer noch: „Das darf ich Ihnen nicht sagen.“
Harzer Käse aus Sachsen
Dass der Käse erstmals 1921 in Vienenburg „am grünen Rand des Harzes“ hergestellt wurde, das interessiert nur noch für die nostalgische Firmengeschichte. Dass die „kleine Familienkäserei“ seit 1998 zur riesigen Molkerei Müller gehört, die Westharzer Firma geschlossen wurde und der Käse jetzt im sächsischen Leppersdorf produziert wird, darüber spricht an diesem Abend offiziell keiner. Der Münchner Brandmeier ist „ned so happy drüber“, wenn man ihn fragt, wann der Umzug war; schließlich geht es nicht ums Regionale, sondern ums ganz Große. „Jeder weiß, dass die Italiener, Schweizer, Franzosen Käse machen, nur von uns weiß es keiner. Dabei ist Sauermilchkäse die älteste Käseart Deutschlands.“
Da muss Gérard Depardieu widersprechen: „Frankreich hat kein Monopol und Deutschlands Käse absolut keinen Grund sich zu verstecken. Auch hier hat jeder Bauer seit Generationen sein eigenes Rezept. Doch durch die moderne Industrie haben wir den Kontakt zum Urtümlichen verloren.“ Jetzt ist Depardieu, Inhaber von drei Restaurants, Besitzer von sechs Weinbergen und Autor mehrerer Kochbücher, bei seinem Lieblingsthema angelangt: Der Suche nach dem Ursprünglichen, den regionalen Besonderheiten und Spezialitäten. Gut, dass er noch nie im Harzer Städtchen Vienenburg war. „Man muss aufs Land, um die typische Küche zu finden.“ Zutaten für gutes Essen gebe es überall.
Mit Ernst und Spass bei der Sache
Man merkt, wie ernst es Depardieu ist und wie sehr es ihm Spaß macht, mit seinem Chefkoch Laurent Adiot auf die Suche zu gehen. Zusammen haben die beiden das Restaurant „La Fontaine Gallion“ in der Nähe der Pariser Oper zu einer Adresse für Feinschmecker gemacht. So erfolgreich, dass sie mit der „Ecaille de la Fontaine“ direkt gegenüber eine auf Fischgerichte spezialisierte Filiale eröffnen konnten. In der Woche kocht Adiot, am Wochenende werden Gäste ausgesperrt, weil die beiden am Herd stehen und neue Rezepte ausprobieren.
Als eines Sommertages im letzten Jahr eine kleine silberne Büchse auf dem Küchentisch stand, war Depardieu sehr verwundert. „Es ist eine schöne Dose“, er wedelt mit dem Ding vor seinem Bauch hin und her. „Es passen Bücher hinein, ein Apfel vielleicht, auch ein Käse“, er grinst maliziös, „dazu ein Handy und das Foto vom Verlobten – perfekt für eine 18-Jährige.“ Depardieu lacht laut auf. Die Loose-Dose mit dem deutschen Käse hatte eine Abordnung aus Leppersdorf in seinem Restaurant abgegeben. „Der Kellner war – mit Verlaub gesagt – ziemlich arrogant“, erinnert sich Looses Marketingleiterin Annett Anders. „Ich muss mich noch mal entschuldigen“, erklärt Depardieu, „dass der Empfang in meinem Restaurant nicht sehr herzlich war. Wir empfangen sehr gerne Ausländer, aber ich war in Kasachstan.“
Tadelloser PR-Auftritt
Depardieus Auftritt läuft tadellos, die PR-Leute lächeln um die Wette. Depardieu stellt sich geduldig den Fotografen, hängt sich sogar eine Loose-Schürze um und hantiert mit einem überdimensionierten Pfefferstreuer. Wenn es gar zu schlimm wird, läuft er ein wenig rot an, dreht sich abrupt um und verschwindet in der Küche. In solchen Momenten erinnert der Filmstar an einen brodelnden Wasserkessel, der Luft ablassen muss, um nicht zu explodieren. Viermal wird er an diesem Abend mit wehenden Haaren zwischen den fünf weißbemützten Köchen in der Küche auftauchen. Dort beruhigt er sich, probiert hier, fachsimpelt dort und guckt neugierig in die Töpfe – ginge die Welt jetzt unter, hätte er wenigstens noch mal gut gegessen. Er lobt den Chefkoch, weil er das Schwarzbrot, die Radieschen und den Schinken für das „Käse-Rendez-vous à la Gérard“ so dünn geschnitten hat.
Denn der Meister hat sich überreden lassen, zu dem „Event“ ein eigenes Rezept beizusteuern. Das sei „très simple“, sehr einfach, wehrt Depardieu ab, und liege auch sehr leicht im Magen. Man könnte es mit einem Wein trinken und wäre dann bereit, „pour faire l’amour“. Depardieu lacht anzüglich und grinst. Das Schwergewicht ist eben auch ein Schwerenöter.