Immer auf der Sonnenseite

Sächsische Zeitung, Wochenend-Magazin, zweiseitige Reportage, 30. Oktober 2004

Der Sächsische Weinwanderweg führt von Pirna bis Diesbar-Seußlitz. Das sind 90 Kilometer Weingeschichte: vom Paradies zum Bösen Bruder.

Der Weg zum sächsischen Wein führt links vorbei am Paradies über dickes Kopfsteinpflaster. Und am Ende klettert man über den Bösen Bruder die Treppen hinab zum Schloss des Erlauchten. Dazwischen liegen 90 Kilometer durch Wald und Feld, über Stock und Stein und immer am Weinberg entlang. 90 Kilometer vom Hotel „Elbparadies“ in Pirna-Oberposta bis zum Seußlitzer Schloss Heinrichs des Erlauchten.

Rechtselbisch und damit fast immer auf der Sonnenseite des Flusses. Vorbei an krummen Trockenmauern, die nicht mehr Weinberg von Weinberg trennen, sondern auf steilen Hängen Vorgärten unterteilen, von dicken Eichenwurzeln überwuchert werden und hinter denen sich heute herrschaftliche Villen verstecken. Der Sächsische Weinwanderweg führt nicht nur zu den Winzern, die sich heute auf Steilhängen abrackern. Er ist auch eine Reise in die glorreiche Geschichte des sächsischen Weines.

Es beginnt vor den Garagen

„Ein wüster, wilder Berg war dieses anzusehn, voll Dornen, Stein und Stock, Lob sey gesaget Gott, jetzt stehn die Reben da“, dichtete 1648 etwas unbeholfen ein unbekannter Künstler und meißelte den Spruch in die Postaer Winzertafel. Die soll eigentlich den Beginn des Sächsischen Weinwanderweges markieren, befindet sich aber derzeit noch beim Steinmetz, wo sie saniert werden soll. Also stehen die unternehmenslustigen Wanderer am Beginn ihrer Tour vor einer Reihe von Garagen. Der Anblick ist trist.

Aber schon nach wenigen Schritten vorbei am Hotel „Elbparadies“ hoch nach Oberposta entschädigt der Blick für alle tristen Garagenreihen dieser Welt: Linkerhand windet sich die Elbe um die Sandsteinfelsen, der Lilienstein hockt neben dem Königstein über den Wipfeln des Waldes, die Sonne schickt glitzernde Strahlen zum Schloss Sonnenstein gegenüber. Ein Blick vorbei an dreckigen Wanderschuhen über die Abbruchkante hinweg zeigt die Stöcke von Schreiers Weinberg, die sich in den Steilhang ducken.

Über die Ebene von Copitz und Herzogs Weinberg in Jessen geht es nach Graupa. Ein Trüppchen betagter Touristen bewundert das Schloss. Ihr Chef behauptet wohlgemut, er habe eine Gruppe Hortkinder bei sich. „Wir machen einen Ausflug, heute Abend müssen wir zurück sein und einen Aufsatz darüber schreiben.“ Die Worte hört man wohl, aber glauben mag man das Gehörte nicht. Die grauhaarigen Damen und Herren sind allerdings so guter Laune, dass es unfair wäre, den Spielverderber zu mimen. „Ach ja, wovon soll denn der Aufsatz handeln?“ Der Chef der Truppe zögert nicht lange, wirft einen Blick auf das glänzende Museumsschild einige Schritte weiter und verkündet: „Na, über Wagner natürlich.“ Spricht’s und verschwindet mit seinem Trupp durch das grüne Holztor ins Richard-Wagner-Museum.

Lindengrund und Fuchsloch

Lindengrundstraße, Fuchslochweg und Tiefer Grund heißen die Straßen hier. Knallrot verfärbter wilder Wein windet sich um die Elektroleitungen, tiefrote Rosen blühen vor Fachwerkhäusern, die aussehen, als hätte ein Schwarzwälder Architekt Heimweh gehabt. Eine Fachwerkscheune zeigt offen ihre Konstruktion aus Holzbalken und Sandverfugungen, ihr sanierter Bruder nebenan ist schon weiter.

Am Dorfanger der Ottihof von 1907, der als Musterhof auf der Deutschen Bauausstellung in Dresden zu sehen war. Das steht nicht dran, aber in der Broschüre zum Sächsischen Weinwanderweg. Die sorgt auch dafür, dass sich die Wanderer trotz (noch) fehlender Markierung nicht verlaufen.

Hinter einem Zaun am Weinbergsweg nach Oberpoyritz verteidigt eine Yorkshire- Terrier-Mama quieksend-bellend ihre fünf Welpen. „Vorsicht bissiger Hund!“ steht auf einem Schild. Auch Plastik kann geduldig sein.

Blick bis zur Sächsischen Schweiz

Am Ortsanfang geraten seit neuestem auch die Haare in Verzückung – jedenfalls hat ein pfiffiger Friseur seinen Laden so genannt. Weinfreunde geraten erst am Ortsausgang in Extase: Von dort kann man nämlich die Rysselkuppe sehen. Pyramidenförmig ziehen sich die Weinstöcke den Hang hoch, als wollten sie trotzig Meter für Meter dem sie umgebenden Wald den Boden streitig machen. Tatsächlich hat der Wald hier jahrhundertelang die Pfähle für den Weinbau geliefert.

Hinter der Ecke offenbart sich ein erster Höhepunkt: Der königliche Weinberg von Pillnitz. Mittendrin schiebt die Weinbergskirche ihr rotes Dach mit goldbespitztem Türmchen ins Waldgrün. Viele verschiedene Berufs- und Hobbywinzer bewirtschaften diesen Hang. Manche haben Glück, dürfen sogar eine kleine, verschnörkelte Laube ihr Eigen nennen – und von dort einen traumhaften Blick bis zur Sächsischen Schweiz und ins Erzgebirge genießen.

Rechter Abzweig zur rechten Zeit

„Die Strecke von Pirna bis Pillnitz ist die trockenste von allen“, sagt Werner Starke. Er muss es wissen, denn er hat den Sächsischen Weinwanderweg ins Leben gerufen. Auf einer Tour entlang der Deutschen Weinstraße durch die Pfalz kam ihm die Idee, einen solchen Weg auch in Sachsen auszuweisen. Sieben Jahre hat es gedauert, bis die Idee soweit umgesetzt war, dass die Infobroschüren gedruckt waren und sich die Markierer auf den Weg machen konnten, den Wanderer den rechten Abzweig zur rechten Zeit zu weisen.

An der Trockenheit der Strecke von Pirna bis Pillnitz hat sich in den sieben Jahren nichts geändert. Also kann der gute Rat nur lauten: Brotzeit ins Ranzel – und einkehren in Pillnitz. Frisch gestärkt geht es den Pillnitzer Hausberg hinauf. Hier beginnt eine lange Reise in die Vergangenheit des sächsischen Weines: Wer über die Mauern stibitzt, kann in den schicken Gärten der Villen am Hang noch die Trockenmauern der Weinberge erkennen. Sie sorgen jetzt dafür, dass der Apfelbaum im Garten keinesfalls eines nicht so schönen Tages ins Wohnzimmer rutscht – denn gehalten werden muss der Steilhang ja immer noch.

Weinberge wurden edles Bauland

Auf dem verwunschenen Hosterwitzer Königsberg, der sich schmal den Hang entlangwindet und kaum zwei Wanderern nebeneinander Platz bietet, halten die alten Trockenmauern sogar den Wald aufrecht: Als der Wein im 17. Jahrhundert seinen Rang als Volksgetränk Nummer eins verlor und auch die Sachsen zunehmend dem Bier, aber auch Kaffee, Tee, Kakao und anderen exotischen Getränken zusprachen, wurden die Weinberge aufgelassen und später wieder aufgeforstet.

In anderen Gegenden, eben in Pillnitz zum Beispiel, noch viel massiver aber an den Dresdner Hängen, wurden die Weinberge zu edlem Bauland. Stadtteile wie Wilder Mann oder Hechtviertel verdanken ihren Namen den großen Weingütern, die hier einmal standen. Bis 1883 zum Beispiel wurde an den Hängen oberhalb der heutigen Döbelner Straße am Wilden Mann Wein angebaut und bis zu 1 200 Liter jährlich gekeltert. Und Revierförster August Hecht gab einem Weinberg und einer Schänke „Zum blauen Hecht“ seinen Namen.

Fürstlich umrahmt von Villen

Schwer vorzustellen, dass die 421 Hektar, die heute in Sachsen unter Wein stehen, lediglich ein Zehntel der einst 4 000 Hektar ausmachen. Im 16. Jahrhundert müssen einem die Reben an jeder Ecke entgegengeragt sein. Wer sich jetzt ins Vorgestern träumt, dem sei gesagt: Der Wein soll eine mächtig dünne Plörre gewesen sein. Qualität war damals nichts, Quantität alles.

Manchen Weinbergen machte nach dem Niedergang des Weins die Reblauskatastrophe den endgültigen Garaus. Die Flächen wucherten zu und waren unbrauchbar. Viele aber wurden von den 60er Jahren bis heute wieder aufgerebt.

Ab Radebeul führt der Weinwanderweg deshalb nicht mehr durch die Vergangenheit, sondern die stolze Gegenwart der sächsischen Weine. Immer wechselnd zwischen unterer, mittlerer oder oberer Höhe klettert der Wanderer die Hänge entlang, fürstlich umrahmt von Villen und Schlössern, die oft ihren Prunk – wie Hoflößnitz, Spitz- oder Hohenhaus – dem Weinbau verdanken. Hier schaffte es Pfadfinder Starke sogar, dass der steile Abstieg vom Jacobstein zum Schloss Wackerbarth für die Wanderer geöffnet wurde: Über Winzertreppen geht es hinab zum Gut von Augusts Feldmarschall.

Immer am Wald lang

Der Weg schlägt ab Radebeul einen langen Bogen über die Coswiger und Weinböhlaer Hänge. Immer am Wald lang ist hier die Devise, ehe es über das Oberauer Wasserschloss, die Niederauer Ebene und das Feuchtgebiet der Nassau nach Meißen geht. Ab jetzt werden die Weinberge die Wanderer viel öfter begleiten. Erster Beweis: Das Spaargebirge, auf dem sich seit 1352 Wein- und Rittergüter nachweisen lassen. Zweiter – und beileibe nicht letzter Beweis: Die Hänge zwischen Meißen, Proschwitz und Zadel. Über die Katzenstufen gilt es hochzusteigen auf die Proschwitzer Höhe – links und rechts nur Wein.

Hinter Winkwitz heißt es: Nicht erschrecken. Die Schreckschussanlagen auf den Weinbergen von Georg Prinz zur Lippe sollen nur die Vögel vertreiben. Wanderer öffnen einfach die neu installierten Tore und benutzen die Wirtschaftswege. Andreas Nicloux, beim Prinzen zuständig für die Arbeiten im Weinberg, winkt freundlich ab. Nein, selbst während der Lese stört es nicht, wenn Vorbeikommende den Arbeitern über die Schulter schauen. Knatternd biegt ein Traktor um die Ecke, der leere Bottiche bringt.

Blätter rascheln, Hülsen knacken

Kurz vor Zadel wurden die Arbeiter im Weißweinberg von Maschinen ersetzt. Vom Bock hinunter haben die Wagenlenker einen noch herrlicheren Blick als die Wanderer: Die Weinstöcke stehen direkt an der Abbruchkante, tief unten schlängelt sich die Elbe entlang und offenbart den Blick auf die Zehrener Hänge auf der anderen Seite.

Hinter Zadel ändert sich der Charakter des Weges wieder: Der Hochebene folgt der dichte Golkwald. Trockene Blätter rascheln, Bucheckerhülsen knacken unter den Wanderschuhen, Bäume knarzen im Wind. Die Seußlitzer Gegend fanden die Menschen schon immer schön: Uralte prähistorische Burganlagen finden sich gleich mehrfach. Die Goldkuppe hinter Diesbar wölbt sich hinunter zum Seußlitzer Schloss, das bis vor zwei Jahren als Altersheim diente. Weinbergswanderer dürfen sich hier auch heute nach 90 Kilometern verdient zur Ruhe setzen. Prost!

 

DER WEG

Der Sächsische Weinwanderweg führt von Pirna bis Dießbar- Seußlitz. Er ist mit einem „S“ über einer roten Rebe in einem Kreis markiert. Er führt rechtselbisch entlang der Weinberge, manchmal direkt an der Elbe, meist jedoch auf halber Höhe oder sogar an der Abbruchkante des Elbtals entlang. Er kann in sechs Etappen erwandert werden, die jeweils ca. 15 bis 18 Kilometer lang sind und fünf bis sechs Stunden dauern.

  1. Von Pirna bis Dresden-Pillnitz über Copitz, Jessen, Graupa, Oberpoyritz.
  2. Von Pillnitz bis Dresden-Wilder Mann über Wachwitz, Loschwitz und Neustadt.
  3. Von Dresden-Wilder Mann bis Radebeul-Zitschewig über die Ober- und die Niederlößnitz.
  4. Von Radebeul-Zitschewig bis Niederau über Coswig, Weinböhla und Oberau.
  5. Von Niederau bis Meißen über Sörnewitz, Zaschendorf und das Spaargebirge.
  6. Von Meißen bis Diesbar-Seußlitz über Proschwitz, Winkwitz, Zadel, Diera-Zehren und den Golkwald. |

DIE BROSCHÜRE

Eine Infobroschüre hat der Tourismusverband Sächsisches Elbland e. V. herausgegeben. Die 168 Seiten starke Broschüre beschreibt den Wanderweg inklusive Sehenswürdigkeiten, Einkehrmöglichkeiten, Wegvarianten oder Abkürzungen. Sehr übersichtliche Karten ergänzen die Beschreibungen der sechs Etappen. Einleitende Bemerkungen zum Sächsischen Weingebiet ergänzen die Broschüre. Sie widmen sich sowohl Themen wie Boden und Klima, sächsischer Geschichte, soweit sie relevant ist, als auch einer längeren Abhandlung zur Geschichte des Weinbaus im Sächsischen Elbtal. Speziell für Nichtansässige dürften auch die „Epiloge“ interessant sein, die kurze Besichtigungstouren in Pirna, Dresden, Meißen und Seußlitz beschreiben. Zu beziehen ist sie zur Schutzgebühr von drei Euro bei den Touristeninformationen der zu durchwandernden Regionen und über den Tourismusverband Sächsisches Elbland e. V., Niederauer Straße 26-28, 01662 Meißen. Tel. (03521) 763 50. www.elbland.de.

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DIE FÜHRUNGEN

Augustus-Tours in Dresden hat sich spezialisiert auf internationale und nationale Weinbergswanderungen. Sie bieten im nächsten Jahr Touren durch die Weinberge von Pillnitz (2.7., 2.10.2005), die Radebeuler Niederlößnitz (27.3., 27.8., 25.9. 2005) und Oberlößnitz (12.6., 17.9.2005), rund um den Proschwitzer Katzensprung (30.4., 4.9., 8.10.2005) und durch Meißen (30.4.2005).

Für alle Touren zu 16 Euro Anmeldung unter Tel. 0351/ 56 34 80. www.augustustours.de Geführte Weinbergswanderungen bieten auch die Tourist- Informationen in Radebeul (Tel./ Fax 0351/831 19 05) und Diesbar- Seußlitz (Tel/Fax 035267/502 25). Manche Winzer wie Klaus Schuh in Coswig-Sörnewitz (03523/ 848 10), Frank Förster Radebeul (Tel. 0171/930 62 07), das Weingut der Hoflößnitz (Tel. 0351/849 83 33) führen auf Anfrage durch die Hänge.

Informationen rund um die Sächsische Weinstraße auch über den Landkreis Meißen und seine Internetseite zur Weinstraße: www.dresden-elbland.de