St. Galler Tagblatt, Focus, 23. Mai 2013
Arno Camenisch ist noch mit seiner Bündner Trilogie auf Lesetour, da legt er mit Fred und Franz schon ein neues Buch vor. Darin bleibt er sich treu und übertrifft sich doch selbst.
Dienstag Kreuzlingen, Mittwoch Lenzerheide, Donnerstag Chur, dann Ilanz, Opfikon, Eglisau und Stein am Rhein: Arno Camenisch reist durchs Land, um aus seiner Bündner Trilogie zu lesen. Danach fährt er ins deutsche Bad Homburg, um den Hölderlin-Preis entgegenzunehmen, den Eidgenössischen Literaturpreis hat er schon. Ende Juni warten die nächsten Termine: In Bern und Zürich stellt Camenisch seinen Neuling «Fred und Franz»vor.
Rauchend im Nieselregen
Rauchend steht Arno Camenisch am Dienstagabend im Nieselregen vor der Stadt- und Berufsschulbibliothek Büecherbrugg in Kreuzlingen. Unter der olivgrünen Jacke schaut ein oranger Pulli hervor, auf dem Kopf leuchtet eine rote Mütze. Als er kurze Zeit später zur Bühne geht, ruft eine Dame halblaut: «Ach, so ein Junger ist das?!» Der 35-Jährige, immer noch in Jeans, aber jetzt mit schwarzem Hemd und kunstvoll verstrubbeltem (oder Nieselregen-nassem?) Haar, wirkt jünger als er ist.
Das liegt an dieser Mischung aus bubenhafter Unsicherheit, Zurückhaltung und neugieriger Offenheit. Seine Werke aber zeigen die Erfahrung eines Menschen, der zuhören kann, ohne aufzufallen. Es ist, als sei er im Erstling «Sez Ner» mit auf der Alp, als leite er den Besucher in «Hinter dem Bahnhof» an der Hand durch sein Dorf und als sitze er in «Ustrinkata» am Stammtisch der Helvezia, die morgen geschlossen wird und in der heute noch einmal ordentlich gebechert wird. «Ich beschreibe eine Welt, die verschwindet », sagt Camenisch.
Die Sprache beginnt zu tanzen
Immer wieder unterbricht er sein Vorlesen, um Anmerkungen zu machen oder Anekdoten zu erzählen. «Ich habe meine Lesebücher vergessen, in Biel, wo ich wohne», gesteht er zu Beginn. «Da musste ich in Kreuzlingen erstmal Textmarker kaufen und meine Bücher anmalen.» Anführungszeichen gibt es in seinen Werken nicht, und so markiert der Autor die Personen, um im Vortrag ihren je spezifischen Ton zu treffen.
Die karge, wortgenaue Sprache wirkt schon in der stillen Lektüre, aber wenn der Autor laut liest, beginnt die Sprache zu tanzen: Ein melodiöses Auf und Ab, ein getragener, sanft vorwärts drängender Rhythmus, ein Vortrag, der die Worte ineinanderfliessen lässt. Wenn Camenisch am Schluss aus seinem zweisprachigen Début «Sez Ner» den romanischen Text vorträgt, ist sofort zu hören, wo er herkommt, dieser Rhythmus.
Denn die Welt des Bündner Oberlandes ist die Welt des Arno Camenisch. Geboren und aufgewachsen in Tavanasa – «das schön tönt, aber hässlich ist, ein Schattenloch» – in der Gemeinde Brigels. Hier hat er seine Technik perfektioniert: «Man schreibt das Leben ab.»
Er schöpft aus seinem Fundus
Er schöpfe aus einem Fundus, nehme, was er gehört und erlebt hat, «ein Teil ist Phantasie». Ihn interessieren Menschen in ihren Widersprüchen, ihren Freuden, ihren Zweifeln. «Ich kommentiere nicht, ich stelle nur Fragen.»
Neben Camenisch liegt während der Lesung ein vierter Band, leuchtend blau ist er, heisst «Fred und «Franz» und ist mit 80 Seiten noch dünner als seine Vorgänger. Worum geht es? Der Autor windet sich. Er habe eine eigene Handschrift entwickeln, erkennbar sein wollen, sagt er dann, aber «trotzdem etwas Frisches machen».
Dieser Spagat, wie er es nennt, hat ihn «Fred und Franz» schreiben lassen. Die beiden, Brüder im Geiste, sind oberflächlich betrachtet auf der Suche nach einer Frau, nach dem kleinen Zipfel Glück im Leben. Sehr geschickt stellen sie sich dabei nicht an, Fred bringt seiner Angebeteten einen Trog Geranien mit, rast auf kurviger Strasse in eine Kuh, Franz landet dafür im Krankenhaus und Fred auch mal ein paar Tage im Gefängnis.
Sie reden – aber wie!
Und ansonsten reden sie. Über das, worüber man halt so redet, wenn man mit dem besten Kumpel zusammensteht, an der Theke der Beiz, am Wasserfall, in der Sauna oder der Berghütte. Über die Frauen vor allem, aber auch über den Tod und das Menschsein im Allgemeinen.
Aber wie sie reden! Übereinander, miteinander und umeinander herum. Meisterlich beherrscht Camenisch die Kunst der Reduktion. Seine Sprache ist erdig und stimmig, genau passend zu den Menschen, die er beschreibt. Da ist eine Frau «schön wie der Winter» und wenn sie geht, wird das Herz «schwer wie ein alter, nasser Bodenlumpen».
Diese Helden reden über Abgründe hinweg, ohne zu merken, wie schwankend der Boden ist, auf dem sie stehen. Zwischen Allgemeines und Belangloses schleichen sich scheinbar unbemerkt und ungewollt grosse Wahrheiten, ehe die beiden wieder verstummen und ihren Gedanken nachhängen. «Es könnte manchmal so einfach sein, sagt der Franz. Gell, sagt der Fred.»
Sprache in getauschten Rollen
Der Graubündner nähert sich mit «Fred und Franz» an die Volksstücke eines Ödön von Horváth an. Auch seine Sprache, Hochdeutsch mit Einsprengseln, verleugnet ihre Herkunft nicht, lebt mit ihr und in ihr. Mehr noch: Gekonnt tauscht der Autor die Rollen, wenn Franz ein SMS im Dialekt schreibt und grosse Sätze wie «Il grond kunscht dalla veta ei la mort» auf Sursilvan gesagt und erst dann mit «Die grosse Kunst des Lebens ist der Tod» übersetzt werden.
Der Franz hat übrigens rote Haare. Und der Fred eine rote Kappe. Sein Autor hat seine auch wieder auf, da ist die Lesung in Kreuzlingen keine drei Minuten vorbei. «Jo kasch tenka», würden Fred und Franz sagen.
Arno Camenisch: Fred und Franz, Engeler 2013, 80 S., Fr. 25.–