Luzerner Zeitung, Kultur, 23. Mai 2016
Theater. Zürich inszenierte am Wochenende Elfriede Jelineks «Die Schutzbefohlenen» als Grossereignis. Das ging künstlerisch teilweise schief.
Zürichs Theater haben lange geschlafen. Während ihres Schlafs wurde Elfriede Jelineks Werk «Die Schutzbefohlenen » gut ein Dutzend Mal aufgeführt, weil es in seiner umfassenden Auseinandersetzung mit der Flüchtlingskrise das Stück der Stunde ist. Das Theater Bern hat die Schweizer Erstaufführung gestemmt. Das kann Zürich, das immer ganz vorne dran sein will, nicht auf sich sitzen lassen. Und macht aus dem Jelinek-Drama ein Grossereignis: fünf Häuser, sechs Stationen, zehn Aufführungen, drei Konzerte und ein Rahmenprogramm. Kein Mensch kann alles sehen, die Gesamttour dauert von 17 Uhr bis Mitternacht, mindestens. Das soll erst mal einer toppen. Da kann Zürich wieder stolz auf sich sein?
Soziales mit Theater verwechselt
Es könnte. Wenn es das Projekt nicht nur organisatorisch, sondern auch theatral und intellektuell gestemmt hätte. «Die Schutzbefohlenen» als Event, das Leid der Fliehenden als Happening? Das anfängliche Störgefühl wird im Laufe des Abends zum Magenschmerz sondergleichen. So viel Naivität, auch so viel Verwechslung von sozialen Projekten mit gutem Theater hat man bisher – zum Glück! – auf der Bühne selten gesehen.
Fangen wir dennoch mit dem Positiven an. Mit den Inszenierungen, die sich ernsthaft mit dem Jelinek-Text auseinandersetzen, denn das fällt zusammen. Jelineks Wortkaskaden zum Thema entstehen seit 2013. Fünf Teile sind es mittlerweile, der letzte vom März dieses Jahres. Einer ist aus Sicht der Flüchtlinge allgemein geschrieben, einer greift die rechtsextremen Parolen auf, einer die Flucht übers Meer. Diesen adaptiert Daniel Kuschewski im Jungen Schauspielhaus für ein Wassernixen-Trio. Wenn das mit Fischschwanz und blondem Wallehaar Sätze sagt wie «Ich setz mich doch nicht in ein Boot, wenn ich nicht schwimmen kann», schwappt so viel Zynismus von der Bühne, dass einem schlecht wird. Aber ist die Situation in Europa zwischen plüschigem Alltag, Realpolitik und Flüchtlingselend nicht zynisch bis zum Abwinken?
Alles gut im Schauspielhaus
Den plüschigen Alltag zeigt Intendantin Barbara Frey in «Unerhörtes aus der Unterwelt» im Pfauen. Mit Schlagzeuger und Komponist Fritz Hauser, neben dem sie selber an der Pauke sitzt, lässt sie fünf Schauspieler und zwei Sänger in der Lounge eines Hotels oder Ozeandampfers Platz nehmen. Sie spucken Sätze wie: «Wir brauchen niemand. Wir sind schon wer» oder «Wir müssen den Zuzug beschränken. Wir sind doch nicht beschränkt». Dazu zählt das Schlagzeug den Puls der Zeit, und der Europa-Stier sitzt am Klavier, zuständig nur noch für die Hintergrundmusik. Eine vieldeutige Inszenierung eines vieldeutigen Textes.
Alles gut im Schauspielhaus also. Aber da war noch mehr. Etwa «Die, should sea be fallen in» im Theater an der Winkelwiese. Ein ehrenwertes Sozialprojekt, aber ohne theatralische Idee. Dem Zuschauer werden Wortfetzen in Urdu, Pashto oder Georgisch um die Ohren gehauen. Was die heissen, weiss er nicht. Was sie sollen, auch nicht. Er sieht Flüchtlinge aus dem Refugee Protest Camp Vienna, das Jelinek zu ihrem Drama inspirierte. Die Unbeholfenheit der Laiendarsteller wird vorgeführt, ihr Schicksal interessiert nicht. Ein aufrichtiger, ernst gemeinter Umgang mit dem Thema sieht anders aus.
Flüchtlinge mit Lottoscheinen
Es reicht ebenfalls nicht, wie in «Glückslose für Rechtlos» in der Gessnerallee, eine gute Idee isoliert auf die Bühne zu stellen: Flüchtlinge in einem griechischen Camp füllen eine Hälfte des Lottoscheins aus, Theaterbesucher in Zürich die andere. Der Gewinn geht an den Flüchtling, der Theaterbesucher hat im doppelten Sinne das Nachsehen, denn aus der Idee entsteht – nichts. Nur warten und ein Blick durch den Bauzaun auf die in der «Safety Zone».
Mehr Verve zeigt «asuperheroscape» in der Roten Fabrik. Aber in «Wir Schutzgebenden» verwechseln sie die Bühne mit einer Wahlkampfveranstaltung, fordern schreiend «das kommunale Wahlrecht » oder erinnern süsslich an die Judenverfolgung. Erschreckend, dass die dadurch tatsächlich zum Kitsch wird. Tiefer kann Theater nicht sinken.