Mein erster Hund

Luzerner Zeitung, Sonderseite «Das Tier und Wir», 12. April 2017

Hundeliebe. Wer den Hund als Modeaccessoire sieht, wird sich wundern: Einen Welpen zu erziehen, kostet Zeit, Geld und Nerven. Dennoch: Wer einmal einen hat, kann sich das Leben ohne Vierbeiner nicht mehr vorstellen.

Unterm Tisch liegt ein kleines, schwarzes Fellbündel und schnarcht. Gerade noch hat der Labradorwelpe sein Fressen verschlungen, ein Buch aus dem Regal geräumt, auf einem Stück Hirschgeweih herumgekaut, 4-mal den Ball vom Ende des Flurs zurückgebracht und mindestens 15-mal in meine Jacke gebissen. Ulotte von der Feldmatt, genannte Lotte, ist einer von rund 520000 in der Schweiz lebenden Hunden. «Damit hat die Schweiz absolut und relativ eine der kleinsten Hundepopulationen Europas», sagt Hansueli Beer, Präsident des Zentralvorstands der Schweizerischen Kynologischen Gesellschaft(SKG), des ersten Ansprechpartners für Fragen rund um den Hund. «Schweizer Hundebesitzer schauen gut nach ihren Tieren», sagt Beer. «Sie legen Wert auf hochwertiges Futter, gute medizinische Versorgung und gutes Zubehör.» Die meisten Schweizer Hunde sind klein, Chihuahuas, Terrier, Möpse und Französische Bulldoggen etwa. Dazwischen Labrador, Golden Retriever, Border Collie und Appenzeller Sennenhund. Doch wer den Hund als Modeaccessoire sieht, wird sich wundern: Einen Welpen zu erziehen, kostet Zeit, Geld und Nerven. Und nicht nur Appenzeller und Berner Sennenhunde und Schäferhunde beissen überdurchschnittlich häufig – auch Jack Russell Terrier sind in der Statistik übervertreten.

Plan B, wenn es mit dem Hund nicht klappt.

Lotte ist ein Rassehund. Ihr Züchter züchtet seit 30 Jahren, sein Zuchtgelände ist grosszügig, mit Aussenauslauf und viel Spielmaterial. Am Abholtag geht er minutiös den Kaufvertrag durch, erklärt Impfungen und Entwurmungen, Stammbaum und die Futterration für die nächsten Wochen. Beruhigend der Passus, dass er das Tier im Notfall zurücknehmen und weitervermitteln würde. Dann käme Lotte wieder in gute Hände. «Damit hat man immer einen Plan B», sagt Beer. «Deshalb ermuntere ich auch über 60-Jährige zum Hundekauf.»

Sozialpartner nicht nur für ältere Menschen

Denn Hunde sind Sozialpartner für ältere Menschen und helfen Behinderten, selbstständig ihr Leben zu meistern. Therapiehunde zeigen Diabetikern einen gesunkenen Blutzucker an, helfen Lehrern in Schulen, und Polizeihunde erschnüffeln kiloweise Drogen. Dazu kommt natürlich, dass ein Hund Bewegung braucht, die auch seinem Halter guttut – und das nicht nur, wenn der sich wegen eines schwachen Herzens mehr bewegen sollte.

«Illegal – falsche Wahl» hiess die Kampagne, die die SKG 2016 schalten liess. «Das ist für uns ein ganz zentraler Punkt», konstatiert Hansueli Beer. «Viele illegale Welpen kommen viel zu früh von der Mutter weg und werden miserabel sozialisiert.» Wenn die Übergabe an einem anonymen Ort stattfindet, kann später niemand haftbar gemacht werden. Weil die Tiere in Käfigen gehalten und nur auf Kommerz gezüchtet werden, sind sie schlecht gepflegt und oft krank; eine Operation für 1000 Franken und mehr relativiert den günstigen Kaufpreis schnell. Ein verängstigter Hund beisst und bellt, um sich zu verteidigen, das vergessen auch viele, die ein Tier aufnehmen, das vorher auf der Strasse gelebt hat.

Nachbarin schreit vom Balkon

Insgesamt dreimal waren wir beim Züchter, ehe wir Lotte im Alter von neun Wochen nach Hause nehmen konnten. Seither nimmt sie jede Woche ein Kilo zu. Zum Glück sind auch viele Nachbarn von ihr begeistert. Aber natürlich: Im Nachbarhaus ist auch die Frau, die mir irgendetwas von «kein Schissi-Egge» vom Balkon herunter zugebrüllt hat. Dabei nehme ich säuberlich allen Kot auf und werfe die Beutel in den Abfalleimer.

Dafür hat Lotte am Anfang alles, wirklich alles ins Maul genommen. Die zahllosen Zigarettenkippen negiert sie mittlerweile, aber jeder Essensrest, jedes Stück Abfall wird mit dem Maul untersucht.

Gesetze werden immer restriktiver

2016 schaltete die SKG die «Sauhund»-Kampagne: Unter dem Titel «Sauhund?» und einem mit Schnee bestäubten Setter ist zu lesen: «Für Hundebesitzer eine Pflicht: Hundekot aufnehmen und entsorgen.» Daneben unter dem Titel «Sauerei!» eine Aluverpackung im Gras und der Text: «Für alle eine Pflicht: Abfälle aufnehmen und entsorgen. »

In der Schweiz werde sehr viel Hundekot aufgenommen, sagt Beer. «Doch einige wenige Halter beschädigen das positive Bild.» Die Gesetze werden immer restriktiver, im Tessin, in Schwyz und in Obwalden etwa herrscht Leinenzwang, in Genf wird gebüsst, wenn der Hund auf öffentlichen Plätzen pinkelt. «Da kann sich der Halter überlegen: ‹Verstosse ich gegen den Tierschutz, weil keine artgerechte Haltung mehr möglich ist, oder gegen das kantonale Gesetz?›», fragt Beer rhetorisch. Er beobachtet eine abnehmende Toleranz Hunden gegenüber, vor allem in den Städten. In den vergangenen vier Jahren habe die Meldung von vergifteten Ködern zugenommen: Cervelatstücke mit Nägeln oder Rattengift werden ausgestreut und von nimmersatten Hunden gefressen.

Rasierklinge im Hundebauch

Ein weiteres Plakat der SKG zeigt links unter dem Titel «Köter?» schwarz-weiss den Golden Retriever Candy und rechts unter dem Titel «Köder!» eine Röntgenaufnahme eines Hundebauchs, in dem eine Rasierklinge zu erkennen ist. «Das Bild ist kein Fake», sagt Beer, «der Hund hat nicht überlebt.»

Lotte schläft noch. In den nächsten 12, 13 Jahren tragen wir die Verantwortung für sie. Keine leichte Aufgabe. Aber dafür macht jeder Spaziergang viel mehr Spass, und der Anblick von Lottes Lebensfreude ist unbezahlbar. Genauso wie die ausgelassene Begrüssung beim Heimkommen oder der sanfte Nasenstups als Wecker am frühen Morgen. Dafür lohnt sich alle Aufregung.