Saubermann im Gruselfilm

Sächsische Zeitung, Die Seite Drei, 20. Mai 2010

Leiche im Müll, Schimmel auf dem toten Pony: Was René Dietze als Schädlingsbekämpfer und Desinfektor erlebt, lässt ihn oft an der Gesellschaft zweifeln.

Nach einem Treffen mit René Dietze sieht man die Welt mit anderen Augen. Eine Flasche Kräuterschnaps erinnert einen an den Alkoholiker, den man vier Wochen nach seinem Tod fand und aus dessen Wohnung Dietze und seine Mitarbeiter fünf 60-Liter-Säcke voller kleiner, grüner Schnapsflaschen trugen. Der dünne, weiße Belag auf dem Camembertkäse am Frühstückstisch erinnert an das schwarze Pony, das friedlich unter einer Schicht Schimmel zu schlafen schien. In Wirklichkeit war es tot, René Dietze und seine Männer sollten es abtransportieren. Und die Dose Ravioli im Supermarkt erinnert an die Frau, die vier Jahre lang ihren Abfall nicht mehr wegbrachte und ihre Wohnung so zumüllte, dass sich die Männer vom Hygienedienst fragen, wo sie eigentlich gegessen, gesessen oder sogar geschlafen hat in all den Jahren.

Makellos sauberes Hemd

Im blau-weiß-gestreiften Hemd mit makellos weißem Kragen sitzt René Dietze am Caféhaustisch. Die graublonden, kurzen Haare zum Igel gegelt, der Körper durchtrainiert. Bei ihm zu Hause sei es sehr sauber, sagt der 47-jährige Vater eines Sohnes, „aber ich hatte auch schon Wespenbefall, hatte Motten und Ameisen auf dem Balkon. Meine Frau hat gerufen: ,Wespen bei einem Schädlingsbekämpfer – das gibt’s doch nicht!‘ Aber ich bin davor auch nicht gefeit.“

Wespen, Motten, Ameisen, auch Marder, Tauben und Fliegen zu vergraulen oder zu töten, das ist René Dietzes Alltagsgeschäft. Sein Sächsischer Desinfektions- und Hygienedienst hat seinen Stammsitz im württembergischen Waiblingen, wo er lange lebte, eine Filiale in Moritzburg und ein Büro in Dresden. Dietze, sein Firmenpartner Uwe Götzel und seine Mitarbeiter leisten „Schädlings-, Hygiene- und Beräumungsmanagement“, wie die Internetseite verspricht.

Sie spannen elektrische Drähte, um Tauben zu verjagen, legen Köder gegen Mäuse oder Ratten aus, vertreiben Marder, versprühen Insektizide gegen Motten, Milben, Ameisen oder Kakerlaken, kämpfen gegen Schimmelpilze und Bakterien und unterrichten Lebensmittelbetriebe: „Danach desinfizieren sich die Köche in Restaurants die Hände, wenn sie vom Klo kommen, und fassen nicht mehr direkt in den Salat. Denn sie haben verstanden, was passiert, wenn sie Fehler machen.“

Die meisten Arbeitstage verbringt Dietze mit solchen Routineaufgaben. Insekten und Bakterien sind überall, daher arbeiten Schädlingsbekämpfer im Bordell genauso wie im Regierungspräsidium. Regelmäßige Kunden sind Kliniken, Restaurants und Lebensmittelbetriebe. „Eisdielen sind besonders gefährdet und werden wöchentlich kontrolliert. Restaurants durchschnittlich alle zwei Monate.“

Wohin mit dem toten Tier?

Aber es gibt auch die anderen Fälle. Die schönen und die nicht so schönen Ausnahmen. „Das tote Pony, das hatte sogar etwas Romantisches. Der Anruf kam aus der Nähe von Zwickau. Wir haben es einfach zeitlich nicht mehr geschafft, noch am Abend hinzufahren. Also sagte ich der Frau, sie solle das Tier im Stall mit Wasser besprenkeln und mit einem weißen Leinentuch abdecken, damit die Feuchtigkeit erhalten bleibt.“

Am nächsten Tag fährt Dietze mit seinem Transporter nach Zwickau. Dem siebenjährigen Mädchen, dem das mit 20 Jahren sehr alt gewordene Pony gehörte, sagt er, er werde das Tier auf dem Friedhof begraben. Als er im Stall das Leinentuch hebt, bietet sich ihm ein beinahe schönes Bild: Auf dem pechschwarzen Pony, das daliegt, als würde es schlafen – die Zunge hängt nicht heraus, die Augen sind geschlossen –, hat sich über Nacht eine weiße, zwei Zentimeter dicke Schimmelschicht gebildet. Als läge das schwarze Tier unter einer weißen Wolldecke. „Es stank nicht einmal, roch eher ein bisschen feucht, vielleicht wie nach Champignons.“

Der Rest ist Routine: Mit Gummischläuchen an den Hufen heben sie das Tier mit der Seilwinde hoch, legen es auf die Desinfektionsmatte im Auto und fahren es zur Tierkörperbeseitigungsanlage. Für den Friedhof ist ein Pony zu groß, aber das muss ein siebenjähriges Mädchen ja nicht wissen.

Und dann gibt es noch die nicht so schönen Ausnahmen, von denen Dietze ganz sachlich erzählt, als brauche er Distanz. Erlebnisse, von denen ein Reiz ausgeht wie von einem Gruselfilm – man sieht hin, hört zu und möchte es doch bitte, bitte nie im Leben selbst erleben. „Wir bekamen einen Anruf von einer städtischen Hausverwaltung.“ Dietze sollte sich eine Wohnung anschauen, von der die Nachbarn sagen, es würde so stinken.

Über den saubergeputzten Caféhaustisch schiebt er einige Fotos. Er hat sie auf Albumpapier geklebt, das die Bilder mit einer Folie schützt. „Hier“, sagt René Dietze, „das ist der Anfang.“

Drei Bilder. Eines zeigt ein Badezimmer, eines den Flur, eines das Wohnzimmer. Überall liegt Müll. Meterhoch. Ein Turnschuh auf verdreckten Tüchern vor der Toilette, aufgerissene Packungen, Getränkeflaschen, Taschentücher. Im Flur drei große Müllsäcke, durch die halb geöffnete Tür ein Blick ins Wohnzimmer, Dreck überall, Dosen mit Essensresten, Plastetüten, Töpfe. Auffallend viele Flaschen Spül- und Reinigungsmittel, anscheinend nie benutzt.

Nirgends ein Platz zum Sitzen. „In der Tür stand eine Frau“, erzählt Dietze. „Sie sagte: ,Warum kommen Sie denn? Ich habe doch gerade begonnen aufzuräumen.’“ 13 Fotos hat er auf vier Seiten geklebt. Sie zeigen die totale Verwahrlosung.

„Darauf war ich nicht gefasst. Ich dachte, ich schreibe mir was auf und schicke irgendwen da hin. Der Geruch allein war so schrecklich, dass ich dachte, ich muss mich übergeben. Und die Frau hat darin gelebt, wohl eher vegetiert.“ Vier bis fünf Jahre lang, schätzt man, hat die Frau ihren ganzen Abfall nicht weggeworfen, sondern in der Wohnung verteilt.

Ein Foto zeigt die Fensterbank und Hunderte Fliegenleichen davor. Eines das Waschbecken, auf dem Rand türmen sich hunderte Zigarettenkippen. Auf einem ein Körbchen Pflaumen – dick mit weißem Schimmel überzogen. Ein weiteres Foto zeigt einen von Dietzes Mitarbeitern mit Maske vor dem Gesicht: „Zu Beginn haben wir die dicksten Schutzanzüge angezogen, die wir haben. Mit dieser Maske können wir maximal zwei Stunden arbeiten, dann wird man verrückt. Die Brühe läuft runter, man kriegt keine Luft mehr, weil man so schwer atmen muss. In unserem Beruf sollte man nicht rauchen.“

Nach drei Stunden sind die Container voll, sie werden versiegelt und als Sondermüll verbrannt. Am nächsten Tag stehen neue vor der Tür. Mit Stangen heben die Männer den Müll an, der sich regelrecht in den Boden gegraben hat. Mehrfach nebeln Dietzes Leute alles mit Desinfektionsmittel ein, aber der Geruch will nicht weichen. „In einem der Müllberge“, sagt Dietze und schluckt trocken, „haben wir dann etwas gefunden, das wir nicht definieren konnten. Es war die tote Mutter der Besitzerin. Der Gerichtsmediziner sagt, sie habe mindestens neun Monate gelegen.“

Der Gestank geht nicht weg

Noch heute macht sich René Dietze Vorwürfe. „Das erwartet doch niemand, dass da noch eine tote Person liegt. Das habe ich nicht erwartet, das hat niemand erwartet. Die Mutter sollte eigentlich im Pflegeheim im Allgäu sein. Das war mein schlimmster Fall, so etwas möchte ich nie wieder erleben.“ Drei Monate lang arbeitet der Reinigungsdienst. Der süßliche Geruch ist überall. Sie reißen alles heraus, Fenster, Fensterrahmen, Türen, Türrahmen, Tapeten, sämtliche Böden, den Estrich. Mehrfach werden die Wände mit Desinfektionsmittel eingesprüht, das Gerüche bindet, ein Umwälzer arbeitete monatelang. Dann wird die Wohnung übergeben und saniert. Nach einem Monat kommen die Maler und beklagen sich: In der Wohnung stinke es so.

Die Müllberge wachsen

Der Fall ist Jahre her, aber Dietze erzählt, als wäre es letztes Jahr gewesen: „Im Sommer hätte ich den Job nicht machen können, wir hätten den Geruch nicht ausgehalten. So etwas geht nicht spurlos an einem vorüber.“ Vier bis fünf Messiewohnungen muss er im Jahr räumen. So schlimm war es nie mehr, aber vermüllt sind sie alle.

„Ich verstehe nicht, wie man so leben kann. Auch in ganz normalen Wohnungen müssen wir über solche Berge steigen, weil irgendetwas herumliegt – das ist nicht mehr normal. Irgendwas stimmt hier nicht. Der Überfluss der Gesellschaft wird immer deutlicher, alle wollen nur kaufen, kaufen, kaufen.“ Er gibt sich einen Ruck. „Wenn ich es mal von der positiven Seite sehen soll – und das tue ich eigentlich immer – mache ich meine Arbeit sehr, sehr gern. Ich versuche, möglichst das Beste daraus zu machen und zu helfen.“ Dietze verabschiedet sich mit festem Händedruck, fährt weiter zum nächsten Termin. „Ich arbeite gerade in Dresden-Pieschen. In einer 60 Quadratmeter-Wohnung, gigantisch vermüllt, der Abfall von Jahren“, sagt er. „Der Besitzer lag vier Wochen tot in der Wohnung.“