Sächsische Zeitung, Magazin, 27./28. März 2010
Burghart Klaußner spielte im Film und im Theater viele Väter. Aber die Erziehung seiner Söhne überließ er seiner Frau. Und das aus gutem Grund.
Burghart Klaußners Gesicht kennen viele Menschen, seinen Namen eher weniger, denn ein richtiger Promi ist der gebürtige Berliner nicht. Und das, obwohl er mit seinem feinen, konzentrierten Spiel schon viele Filme geadelt hat. Vielleicht ist er dafür zu überlegt, zu kontrolliert, zu kritisch mit sich selbst. Beim Gespräch im Dresdner Schauspielhaus bricht er immer wieder aus, beißt auch mal spielerisch ins Mikrofon, als er sich zu sehr bedrängt fühlt. Er redet über sich selbst, aber nicht gern. Jedenfalls nicht so gern wie über seine Rollen.
Herr Klaußner, Sie haben schon viele Väterrollen im Film gespielt. Jetzt spielen Sie in Dresden König Philipp, den Vater von Schillers „Don Carlos“. Warum diese Häufung?
Der Frage bin ich schon wiederholt ausgesetzt gewesen. Ich weiß es nicht. Die Filmbranche neigt dazu, zu industrialisieren und zu formatieren – und manchmal erwischt es einen dann. Der nächste Film, den ich mit mir erwarte, heißt „Goethe!“. Da spiele ich auch wieder einen Vater, den von Lotte Buff, der „Lotte in Weimar“, die Goethe nicht heiratet und darüber den Roman „Werther“ schreibt. Aber ich versuche das jetzt zu reduzieren. Denn alles, was sich wiederholt, ist natürlich ein bisschen langweilig.
Was für ein Vater sind Sie da?
Ein wohlmeinender. Die Figur ist der Spiritus Rector, der geistige Vater des Romans „Werther“. Wenn er nicht die Verlobung hintertrieben hätte, hätte Goethe seinen „Werther“ nie geschrieben. Also kann man mit Fug und Recht behaupten: Der Anlass für Goethe, „Werther“ zu schreiben, war meine Figur.
Die Väter, die Sie gespielt haben, waren sehr unterschiedlich. Sie haben selbst zwei Söhne. Hat sich der Vater Klaußner schon einmal in einem Filmvater wiedergefunden?
Nein. In der Mischung schon, aber nicht in einer Figur speziell. Entweder waren die Väter überstreng wie in „Das weiße Band“, oder sie waren gar keine Väter, sondern Ersatzväter oder Vater-Figuren, wie in „Die fetten Jahre sind vorbei“. Oder sie waren zu weich, wie in „Requiem“. Oder zu intellektuell oder zu naiv. Die Mischung macht’s. Es muss ja nicht unbedingt meinem Charakter entsprechen, was da an Besetzung auf mich zukommt. Es sind ja immer nur Teile einer Persönlichkeit. Ich bin auch ein großer Liebender, das habe ich im Film aber noch nicht so viel gezeigt. Der Philipp im „Don Carlos“ ist als Liebender eher gescheitert. Aber nichtsdestotrotz hat er ein Riesenpotenzial. Wenn ich mich in diesen Rollen so betrachte, finde ich: Alle meine Figuren haben ein riesiges Liebespotenzial. Ob sie das richtig leben können, bleibt dahingestellt. Aber sie versuchen immer, das in die Welt zu setzen.
Der Pastor im „Weißen Band“ ist vor allem ein strenger, prügelnder Vater.
Ich behaupte, er ist auch liebender Vater, ein großer Liebender, der eben – gefangen in seinem falschen Denken und seiner vermeintlichen Pflicht – aus Liebe das Falsche tut. Aber er ist kein Sadist. Er ist niemand, der – wie vielleicht einige Herren und Damen in kirchlichen Einrichtungen – Freude am Strafen hat. Und wenn er sagt: „Die Schläge tun mir mehr weh als euch“, dann ist vielleicht etwas dran an dieser schrecklich verdrehten Wirklichkeit. Das ist der heimliche Ausdruck dafür, dass er weiß, dass er das Falsche tut. Und weil er sich aus Sorge um die Kinder verpflichtet fühlt, diese Härte walten zu lassen, tut es ihm wirklich weh. Auch wenn er nicht zu der Erkenntnis durchdringt, dass er es dann einfach bleiben lassen könnte.
Sie denken, die Väter, die so grausam waren wie Ihr Pastor, haben gewusst, dass ihre Erziehung falsch war?
Nein, sie haben es nur ganz tief innen gewusst, nicht bewusst, höchstens unterbewusst. Sonst hätten sie ja wirklich kriminell gehandelt. Die ganze Problematik dieser schwarzen Pädagogik liegt darin, dass der Erziehende sich in einem Widerspruch zwischen Fühlen und Pflicht befindet, den er glaubt, zugunsten der Pflicht lösen zu müssen. Meistens ja, weil er selbst so aufgewachsen ist. Wir wissen bis heute nicht, welches Maß an Strenge und Lässigkeit letztlich zum besten Ergebnis führt. Ohne jede Disziplin und ohne jede Leistungsherausforderung scheinen wir nicht auskommen zu können. Und ohne Liebe schon gar nicht. Also, wo liegt das Maß?
„Maß“ ist ein gutes Stichwort. Spätestens wenn die Kinder erwachsen sind, werden sich die Eltern fragen: War das Maß angemessen? Wenn Sie auf Ihre beiden Söhne blicken, sind Sie zufrieden mit sich?
Ja. Wobei mein Anteil eher gering ist und der meiner Frau löwenmäßig. Da kann ich nur dankbar sein, dass sie das richtige Maß mitgebracht hat aus Holland – sie ist Holländerin. Meine Söhne sind total gelungen, zwei gelungenere Burschen kenne ich nicht.
Warum ist Ihr Anteil gering? Waren Sie kaum da?
Doch, doch. Aber ich habe mich Gott sei Dank mit meinen Erziehungsmaximen zurückgehalten, nachdem ich gemerkt habe, dass ich wahrscheinlich zu altmodisch war.
Dürfen wir da nachfragen?
Na, ich habe altdeutsch der Strenge zu sehr das Wort geredet. Irgendwann wurde mir klar, dass das Quatsch ist und dass ich als Wiederholungstäter durch die Welt laufe.
Ging es in der Berliner Kneipe Ihres Vaters, „Zum Klaußner“, streng zu?
Völlig anarchisch. Mal streng, mal total lässig. Ratlos eigentlich.
Sie wussten nicht, woran Sie waren?
Ich wurde ganz normal erzogen, ein ganz normaler deutscher junger Kerl. Aber die Deutschen selbst waren ratlos, was richtig ist, vor allem nach dem Krieg. Sie hatten auf der einen Seite die Muster des Nationalsozialismus, sogar noch der Kaiserzeit, und auf der anderen Seite das Scheitern derselben vor Augen. Jeder wusste, dass an den Mustern irgendwas falsch gewesen war, aber neue Muster gab es noch nicht. Und wir Jungen, im Westen zumindest, haben die Amis, die Soldatensender und Rock ’n’ Roll bewundert und uns total in eine andere Richtung bewegt. ’68 hat dem noch die Krone aufgesetzt, weil der herrschende faschistische Ungeist radikal mit dem Besen ausgetrieben wurde – zumindest glaubte man das. 30 Jahre später merkten die Achtundsechziger, dass sie im Protest auf die Reste des Nationalsozialismus manchmal selbst gewalttätig waren, also den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben haben. Die Gewalt, die ihren Gipfel in der Bewegung der RAF gefunden hat, ist auch als Reflex auf den Faschismus zu erklären – nicht nur in Deutschland. Aber ich wollte eigentlich keine Vorträge halten. Wirklich nicht. Ich bin es leid, von mir irgendwelche Sentenzen oder Weisheiten zu hören. Ich habe die Weisheit nicht mit Löffeln gepachtet. Sagt man so?
Man sagt „die Weisheit nicht gepachtet“ oder „mit Löffeln gefressen“.
Aha, ich habe zwei Bilder vermischt.
Aber interessant ist doch, dass Sie erkannt haben, dass Sie zu streng waren, und Sie diese Strenge nicht an ihre Kinder weitergeben wollten. Lag das nur an Ihrer Frau?
Ich habe da wirklich etwas gelernt. Aus Liebe gelernt. Und die Geschichte hat ihre steinerne Melodie nicht mehr singen können. Es ging nicht mehr. Es war irgendwann Schluss mit dem Eine-runterhauen und Eine-mehr-als-sonst. In Berlin gab es bis in die 60er-, 70er-Jahre den stehenden Ausdruck eines Vaters zu seinem Sohn: „Ick schlach dir dot!“ Und das kann nun offensichtlich nicht richtig sein. Aber die Sprache hat Denkmuster aufbewahrt, die haarsträubend sind.
Oft genug durchschaut man die Muster und kann trotzdem nicht aus ihnen herausbrechen.
Ja, so sind wir Menschen. Aber ich habe aus Liebe gelernt und ein Muster durchbrochen. Aber ich sitze ja Gott sei Dank hier nicht auf der Couch, sondern auf dem Sessel, und deswegen würde ich mir sofort widersprechen. Also: Wer weiß, wie lange das gut geht. Das Schöne ist ja, dass wir von Dogmen befreit sind, ohne die wir aber nicht leben können, und wir sagen können: Mein heutiges Dogma – ein völliger Widerspruch in sich, aber ein genussvoller –, also: Mein heutiges Dogma ist zum Beispiel: keine Gewalt.
Sind Erziehungsfragen zeitlich gebunden oder kommen manche Muster immer wieder?
Solange die Biologie der menschlichen Körper nicht revolutionär weiterentwickelt ist, glaube ich an die absolute Wiederkehr von Mustern, weil sich das Biologische mehr, als wir glauben, in der sozialen Welt reflektiert. Auf den Wechsel von Aufbruch und Zähmung ist vieles gegründet. Meine Generation hat das Glück gehabt, diesen Aufbruch hautnah und euphorisch zu erleben und sich dessen auch bewusst zu sein. Und wir sind dann auch entsprechend ins Tal gefallen. Die Jugend der Kaiserzeit hingegen hat die Gewaltlösung beigebracht bekommen und geschätzt. Solche Muster sind schwer zu tilgen. Zudem ist die Gewalt ein unerforschtes Gebiet. Gewalt ist ein uns Menschen innewohnendes, auch sexuell konnotiertes Phänomen, das auch Genuss und Kraft bringt und Gemeinschaft stiften kann. Sie ist komplett negativ konnotiert, aber man darf ja nicht vergessen, dass sie auch ein Kraftquell ist. Das ist bei mir persönlich ein schwieriges Feld: Ich bin mein Leben lang zerrissen gewesen zwischen den Extremen auf allen möglichen Gebieten. Schnell und langsam, laut und leise. Das kennt jeder Mensch, aber bei mir war das extrem. Es kostete mich irrsinnige Kraft, das auszuhalten und durchzuhalten, um im Beruf noch ein bisschen was zu bringen. Und so ist mir das Nicht-Softe auch ein Quell der Energie. Also Vorsicht! Wenn mir etwas nicht passt, kann ich auch diesen Tisch hier umschmeißen. (lacht)
Haben Sie mit Ihrer eigenen Erziehung Ihren Frieden gemacht?
Ja, doch. Doch, doch. Vor allem habe ich meine Präferenzen im Nachhinein anders verteilt. Ein Kind definiert sich stark über die Mutter und sieht da die richtige Seite. Das gleicht sich dann ein bisschen an. Ich habe gelernt, mit einem sowohl liebevolleren als auch kritischeren Blick auf die Eltern zu schauen. Und auch auf deren Konflikte untereinander. Ich bin ja ein Scheidungskind. Als ich 18, 19 war, haben sich meine Eltern scheiden lassen. Das war schon hart. Heute bin ich der Meinung: Never say good-bye, only say hello. Ich will mich aber hier auch nicht um Kopf und Kragen reden.
In „Die fetten Jahre sind vorbei“ erkennt sich der Manager in der Wut der Jugendlichen wieder. Sein eigener Protest ist längst einem bequemen Einverständnis mit der Gesellschaft gewichen. Inwieweit können Erwachsene von Kindern lernen?
Man kann immer von den Kindern lernen. Das hängt natürlich vom Alter ab. Überhaupt arbeite ich immer gerne mit jüngeren Leuten zusammen, wie jetzt zum Beispiel in den „Don Carlos“-Proben mit dem Regisseur Roger Vontobel. Mich interessiert, was junge Leute ausmacht: Aufbruchstimmung, Neugier, Begeisterungsfähigkeit und das Nicht-Abgenutzte. Das finde ich toll und sehr charmant.
Würden Sie dem Kino oder dem Theater eine erzieherische Funktion zugestehen?
Vielleicht. Ich habe keine Ahnung, was Erziehung ist.
Sind Sie jetzt kokett?
Nein, überhaupt nicht. Es gibt in der Geschichte Beispiele von Menschen, die in furchtbaren Verhältnissen aufgewachsen sind und zu großen Geistern, sogar zu großen Humanisten geworden sind. Es scheint mir schwer abwägbar. Ich bin überzeugter Humanist, wenn man das so nennen darf. Die Liebe ist das Postulat Nummer eins. Ich versuche jeden Tag, endlich dahin vorzustoßen.
Sie meinen, es gibt kein Schema für eine gute Erziehung?
Man kann sich nur bemühen. Ich gebe keine Ratschläge, ich habe nur meine Erfahrungen. Ein paar Parameter stehen fest: Wer Sexualität unterdrückt, wird Hass und Gewalt ernten. Wer immer nur schlägt, wird auch nicht mit Liebe belohnt werden. Die Kirchen müssen sich nicht wundern: Das Zölibat ist unmenschlich. Und wenn die Leute nicht damit umgehen können, dann sollen sie es gefälligst lassen. Aber das ist alles, was ich weiß.
Auch in Schillers „Don Carlos“ geht es um Erziehung.
Mein erster Satz als König Philipp ist: „Mein Sohn fängt an, mir fürchterlich zu werden.“ Also ein Problem der Erziehung in einer Inszenierung, die sich in keinster Weise über Schiller erhebt. Denn er ist ein unglaublicher Typ, dieser Schiller. Ein unglaublicher Intellektueller, mit einer Wahnsinns-Emphase, der aufs Tollste das Persönliche und das Politische verbindet, so dass man in keinem Moment unterscheiden kann, ob jemand aus privaten oder politischen Motiven so handelt. Das ist alles immer verquickt, wie im Leben. Logischerweise.
Gespräch: Valeria Heintges und Andreas Körner
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Burghart Klaussner
Geboren wurde Burghart Klaußner 1945 in Berlin. Nach dem Bau der Mauer zog die Familie in die Nähe von München. Klaußner studierte Theaterwissenschaft und besuchte das Max- Reinhardt-Seminar in Berlin.
Er stand auf den Bühnen u. a. von Berlin, Frankfurt, Hamburg, Hannover und Zürich.
Ab Sonnabend ist er im Dresdner Schauspielhaus als König Philipp in Schillers „Don Carlos“ zu sehen.
Seit Anfang der 80er- Jahre stand Klaußner in zahlreichen Filmen vor der Kamera, etwa in „Crazy“, „Requiem“, „Yella“ und „Der Vorleser“.
Für seine Darstellung in „Die fetten Jahre sind vorbei“ bekam er den Deutschen Filmpreis als beste Nebenrolle, für seine Rolle als „Der Mann von der Botschaft“ erhielt er 2006 den Goldenen Leoparden in Locarno. Für seinen Pastor in Michael Hanekes „Das weiße Band“ ist er für den Deutschen Filmpreis 2010 nominiert. (SZ)