Magazin der Hochschule Luzern, Ausgabe 3/2016
Informatikforscher der Hochschule Luzern bringen einer Software bei, so zu denken wie Menschen. Das könnte den Handel im Internet viel benutzerfreundlicher machen.
Der Handel im Internet wächst rasant. 2015 konnte er in der Schweiz um 500 Millionen Franken zulegen, insgesamt wurden 7,2 Milliarden Franken umgesetzt. Da überrascht eine Tatsache: Ein Drittel der potenziellen Käufer verlässt die Seiten, ohne etwas zu kaufen, und nennt als Grund: Der Auftritt sei nicht benutzerfreundlich gewesen.
In der Kommunikation zwischen Mensch und Computer läuft offensichtlich etwas schief. «Wenn wir mit dem Computer reden wollen, müssen wir seine Sprache lernen», sagt Roland Christen, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Departement Informatik der Hochschule Luzern. «Dabei müsste es doch andersherum sein: Der Computer sollte sich uns anpassen.» Um das zu verdeutlichen, nennt Christen ein Beispiel: Wenn jemand ein Auto sucht, will er vielleicht ein möglichst neues Modell, mit etwa 200 PS. Dafür kann der potenzielle Käufer 10’000 Franken ausgeben. Vielleicht wird er auch noch denken: «Ein rotes Auto wäre schön oder ein blaues – aber silber mag ich nicht.»
Keine Plattform im Internet versteht diese Angaben. Der Computer generiert daraus harte Kriterien. Aus «Ich habe 10’000 Franken zur Verfügung» wird auf Computerdeutsch «maximal 10’000 Franken». Manche Algorithmen haben vielleicht noch eine Toleranzschwelle nach oben und nach unten eingebaut, die sortieren dann Modelle ab 11’500 Franken aus. Ein Auto mit 250 PS für 12’000 Franken fiele aber aus allen Rastern, auch wenn es das bestmögliche Resultat wäre. Noch komplizierter wird es bei nicht quantifizierbaren Angaben wie Farbe, Modell oder Marke. Computerprogramme kennen nur «Ja» oder «Nein». Anfragen, die Präferenzen ausloten wie «ein rotes Auto wäre schön, ein blaues ginge auch», verstehen Computer nicht.
Eine Software, die Vorlieben berücksichtigen kann
«Das ist kein Zustand», fand Davide Cortese, Geschäftsleiter der Firma Arcmedia. Der Luzerner Webdienstleister bietet für mittelständische und Grossunternehmen E-Business-Dienstleistungen an. Cortese ahnt, dass eine solche präferenzbasierte Abfrage den gesamten E-Commerce- Handel interessieren könnte. Sie könnte etwa auch ein Schmuckstück finden, das etwas mehr kostet, aber sonst perfekt zur Abfrage passt, ein günstigeres Kleid, das in der zweiten Lieblingsfarbe gearbeitet ist, oder eine Wohnung, die sich etwas ausserhalb des gewünschten Quartiers befindet, aber genau dem gewünschten Mietpreis entspricht.
Auf der Suche nach dem nötigen Fachwissen für das Programmieren einer solchen Software landete Davide Cortese bei der Hochschule Luzern und dem Team von Marc Pouly, das sich auf Künstliche Intelligenz spezialisiert hat. Zusammen erarbeiteten sie das Projekt «Präferenzgesteuerte Produktsuche und Kundenprofilierung für E-Commerce-Anwendungen», kurz «PrefCom», das von der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) unterstützt wird.
Demoversionen zeigen, in welche Richtung die Reise geht: In der präferenzbasierten Suche nach einem Auto kann man beim Preis unter «hoch», «niedrig» oder «ungefähr 10’000 Franken» wählen. Eine Abfrage kann auch die Farbe des Autos berücksichtigen, zur Wahl steht etwa: «Red > all others», also in etwa: «Rot ist meine Lieblingsfarbe. Und wenn es nicht rot ist, ist mir die Farbe egal.»
In einer Demoversion kann man Farben oder Autotypen wie SUV oder Cabriolet mögen oder nicht mögen, also bevorzugen oder negativ gewichten. Und man kann Preis und PS mit einem Regler feineinstellen. «Der Computer wägt anhand der Kriterien die Angebote gegeneinander ab», erklärt Roland Christen, technischer Leiter von «PrefCom». «Ein Produkt gewinnt gegen ein anderes, wenn es in keinem Attribut schlechter und in mindestens einem besser ist.» So werden immer mehr Angebote ausgeschieden; übrig bleiben die besten, die Wolkenkratzer einer Skyline. Aber je mehr Kriterien der Suchende eingibt, umso komplizierter wird die Sache, und umso länger dauert es.
Dem Team von Marc Pouly und Roland Christen gelang es, die präferenzbasierte Suche mit der Standard-Datenbanksprache SQL durch sogenannte Block Nested Loops zu beschleunigen, damit Kunden nicht abspringen, weil die Anfrage zu lange dauert.
Unterstützung für Verkäufer und Kunden
Die neuen Algorithmen können noch mehr: Sie erkennen die Ähnlichkeit verschiedener Produkte und bieten Alternativen an: Autos mit ähnlichem Verbrauch, Kleider mit ähnlichem Schnitt oder Schmuck im ähnlichen Design. Daraus ergibt sich ein Vorteil vor allem für kleinere Märkte wie den in der Schweiz, in dem es nicht so viele exakte Treffer gibt. Und ohne detaillierte Angaben über den Kunden kann die Website Empfehlungen geben wie «Sie haben sich das Produkt A angeschaut, vielleicht gefällt Ihnen auch Produkt B». «So können wir Produkte bewerben, die gerade erst auf den Markt gekommen sind», sagt Arcmedia- Geschäftsleiter Cortese.
Websites, die mit diesen Algorithmen arbeiten, können auch Verkäufer im Laden unterstützen, denen sie Produkte zeigen, die sie dem Kunden anbieten können. Und sie sparen Ladenfläche, wenn der Computer die Produkte aus dem Lager ebenfalls vorschlägt. Die Informatiker der Hochschule Luzern haben ihre Arbeit am Algorithmus weitgehend abgeschlossen. Bis Herbst nächsten Jahres wird vor allem Arcmedia noch an der Benutzeroberfläche feilen, dann kann «PrefCom» in die ersten Läden, ein Schmuckanbieter etwa zeigt Interesse. Dann können Computer endlich auch Kunden verstehen, die nicht ihre Sprache sprechen.